Hartmann / Philosophische Grundlagen 2.6.

    Eintritt in die Gutenberg-Galaxis


    "Wie jede andere Ausweitung des Menschen hatte auch der Buchdruck soziale und psychische Auswirkungen, die auf einmal frühere Grenzen und Formen der Kultur veränderten. - McLuhan 1964"


     


    Bevor wir am 'Ende der Gutenberg-Galaxis' den kritischen Rückblick wagen, gilt es festzuhalten, daß Sprache, Texte und Bilder kein unverrückbares, sondern ein historisch kontingentes Gefüge bilden. Es ist keineswegs ausgemacht, daß die neuen Medien sich hinsichtlich der 'Sprache' (oder dessen, was wir darunter verstehen) sich nach der Logik des Zerfalls und des kulturellen Verlustes auswirken. Gerade 'im Zeitalter des Internet' werden hier grundlegend neue Bezüge und neue Konstellationen sichtbar, die den Zusammenhang von Kulturtechnik und Denken neu bestimmen.
     

      "So ist es mehr als wahrscheinlich, daß solche kommunikationstechnischen Innovationen wie der Buchdruck oder - in unserer Gegenwart - die elektronischen Massenmedien und die Rechner die Vorstellungen über Kommunikation, Wissen und Information wie auch über die Bedeutung der Medien und über jene Phänomene, die als 'Sprache' bezeichnet werden, verändern." 
      (Giesecke 1992).
    Medienphilosophisch thematisiert hatte diese kulturelle Transformation bereits in den sechziger Jahren Herbert Marshall McLuhan mit der am Fernsehen gebildeten Hauptthese, daß nach dem typographischen und mechanischen Zeitalter der letzten fünfhundert Jahre wir uns jetzt im 'elektrischen Zeitalter' befinden, in dem es zu neuen Formen und Strukturen der menschlichen Interdependenz kommt. Die seither immer wieder variierte Grundaussage ist einfach: "The medium is the message", oder: Kommunikation ist an materielle Medien gebunden, und diese haben sich im Lauf der Kulturgeschichte verändert. (siehe Thema 2.7).

    Zur Erschaffung des typographischen Menschen:

    Die Neuerungen des Druckes im 15. Jahrhundert bestehen in einer Dynamik intellektueller und kommerzieller Aktivitäten. Die Kulturrevolution des Buchdrucks wird zwar oft thematisiert, war aber bislang ein fehlendes Kapitel in der Mediengeschichte bzw. Medienarchäologie, vor allem was die damit verbundene Neuorganisation des Denkens betrifft. Die medienwissenschaftliche Analyse zur Einführung der Druckerpresse von Elisabeth Eisenstein erlaubt es inzwischen, die damit verbundenen Vorgänge differenzierter zu sehen und uns damit auch eine Grundlage für die Thesen von McLuhan zu erarbeiten. Die Kodifikation von Zeichen und Systematisierung von Wissen durch den Druck hat u.a. folgende Wirkung:
     
     

    • Die alphabetische Ordnung nach der Buchstabenfolge. Neues System der Register, Bücherlisten, Katalogsystematik, Kartei (neue methodischen Gewichtung)
    • Neue Wissensindustrie: Suche nach Inhalten. Datensammlung, Naturforschung. Datensammlung und Korrekturen/Errata führen zur Konservierung eines einheitlichen Wissens. Vervielfältigung als neue Form der Datensicherung
    • Die Typographie stoppt sprachliches Fluktuieren. Sie bereitet den Weg für die Homogenisierung aller wichtigen europäischen Sprachen. Grundlage für Nationalismen.
    • Redefinition von Gemeinschaft: Die weite Verbreitung identischer Informationselemente verband Menschen, die einander unbekannt waren, auf unpersönliche Weise. Gleichzeitige Individualisierung und in der Folge aufwertung der individuellen Führerpersönlichkeit.
    • Aufstieg einer neuen Klasse, der Literaten. Erfindung des Autors (vs. kollektive Autorität)
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Literatur:

Elisabeth Eisenstein: Die Druckerpresse. Kulturrevolutionen im modernen Europa,
Wien/New York 1997
Michael Giesecke: Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, Frankfurt 1998
ders.: Sinnenwandel, Sprachwandel, Kulturwandel. Studien zur Vorgeschichte der Informationsgesellschaft, Frankfurt 1992

Hinweis: Interview mit Michael Giesecke über Schreiben und Autorschaft

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© Frank Hartmann 1999