Hartmann / Philosophische Grundlagen 1.2.

      Aufklärung und Vernunftkritik

      Mechanisierung der Kulturtechnik / neue Publizität


      Descartes schrieb in Latein, der damals üblichen Gelehrtensprache. Wer über methodische Prinzipien nachdachte, war für Fragen der sprachlichen Darstellung sicher nicht unempfänglich. Die Klarheit und Deutlichkeit der Ideen, die Descartes angestrebt hat, mündeten aber (noch) nicht in einer sprachlichen Therapie der Philosophie - auf der Suche nach der idealen Sprache (Eco 1994).

      Mehrere Jahrzehnte später überlegte sich der deutsche Gelehrte Leibniz sehr wohl, und mit Bezug auf Descartes, ob eine Erneuerung der WIssenschaft nicht durch eine Erneuerung der Sprache möglich wäre: "eine Art Alphabet der menschlichen Gedanken", wobei sich "durch die Verknüpfung seiner Buchstaben und die Analyse der Wörter, die sich aus ihnen zusammensetzen, alle andere entdecken und beurteilen" ließe. (Anfangsgründe einer allgemeinen Charakteristik, 1677)

      G.W. Leibniz (32389 Byte) Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) gilt als großer Universalgelehrter des Barockzeitalters. Im Zuge der Beschäftigung mit mathematischen Fragen finden sich Entwürfe von Rechenmaschinen, die auf dem dualen Prinzip aufbauen - jede Zahl ist darstellbar als eine Summe von mathematischen Elementaroperationen. SIe läßt sich also "codieren", und die mechanische Rechenmaschine sollte mit einem einfachen Code möglichst effizient arbeiten, z.B. mit den dualen Zahlen 0 und 1 - was nichts anderes als den Vorgriff auf das heute in der Datenverarbeitung vorherrschende digitale Prinzip bedeutet. 
      Die Kunst des Rechnens und Schreibens wird hier übersetzt in die Mechanik der Datenverarbeitung, Kulturtechnik erscheint unter dem Paradigma der Mechanisierung.Die Vorstellung war, jedes Problemlösen als eine Rechenoperation durchführen zu können. 

      uuu

      Im 17. Jahrhundert werden unter veränderten sozio-politischen Bedingungen neue Begründungen und "einheitlichen Kodifizierungen" (Gellner 1993) für Wissen, Handeln und Moral gesucht, die Gesellschaft verlangt nach einer neuen kosmopolitischen Ordnung (Toulmin 1991). Aufgrund seiner neuen erkenntnisleitenden Fragestellungen wird das damit anbrechende Zeitalter auch das der Aufklärung genannt. Im 18. Jahrhundert verwandeln politische Umwälzungen mit neuen normativen Ansprüchen die feudal-repräsentative Öffentlichkeit: dem traditionellen Weltbild wird ein neuer moralischer Universalismus entgegengehalten, mit gegen die Tradition gerichteten erkenntnisleitenden Fragen.

      In Immanuel Kants kritischer Philosophie der Subjektivität spitzt sich gegen Ende des 18. Jh. die Frage wie folgt zu: wie konstituiert sich das Wissen im aufgeklärten Subjekt? Mit seiner Transzendentalphilosophie fragt Kant nach den "Bedingungen der Möglichkeit" von Erkenntnis.

      Zwei Begriffe der Aufklärung: Publizität und Mündigkeit

      Die Frage nach der Vernunftwahrheit verbindet sich mit zwei Impulsen, der Forderung öffentlichen Vernunftgebrauchs und, damit zusammenhängend, der Einklagung des Rechts auf freie Meinungsäußerung

      Die wahrheitsstiftende Kraft wird in Kants Aufsatz: "Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" (1784, Text online bei Gutenberg DE) erstmals nachdrücklich an eine argumentierende Öffentlichkeit gebunden. Er macht eine interessante (und oft kritisierte) Unterscheidung: der Gebrauch der Vernunft soll immer frei sein; private Einschränkungen hindern die Aufklärung nicht, solange der öffentliche Vernunftgebrauch frei bleibt. Aufklärung tritt damit ins Licht eines kollektiven Fortschritts der Menschheit, zu dem wir individuell beitragen, z.B. in der Loslösung von falschen Autoritäten, aber auch von den Träumen der Einbildungskraft - von hier aus fragte Kant nach einer Methode zur sicheren Bestimmung der Grenzen von Erkenntnis.
      Die aufgeklärte Selbstbestimmung hat die Frage zur Folge, was der Mensch von sich aus überhaupt zu erkennen vermag. Deshalb leistet Kant eine Vernunftkritik, die die Grenzen "unserer Welt" im Sinne dessen festlegt, was überhaupt im wissenschaftlichen Sinne erkannt werden kann.

      Aufklärung ist nichts anderes als der "Schritt zur Mündigkeit", ein kontinuierlicher Prozeß des Fortschritts im aufgeklärten Geiste, gesellschaftlich als Erziehung zur Autonomie (vgl. zur Begriffsgeschichte der Mündigkeit: Sommer 1988). Uneingeschränkte Publizität ist das Mittel ihrer Durchsetzung; Kant spricht vom "öffentlichen Gebrauch" der Vernunft "in allen Stücken" als Bedingung, Publizität ist in der Folge bestimmt als "die transzendentale Formel des öffentlichen Rechts", d.h. ein Grundprinzip von Recht und Politik. Nur durch Publizität wird Aufklärung zur Volksaufklärung (allerdings war Kant da nicht naiv, kannte man doch damals schon das Problem einer "lügenhaften Publizität", sowie das Blendwerk von "Bildern und kindischem Apparat", mit dem "Regierungen" vor allem über "die Religion" ihre passiven Untertanen bei der Stange halten...)

        Auch der zeitgenössischen Philosophie bleibe die Frage nicht erspart, von der vor 200 Jahren Kant die Bestimmung dessen, was Philosophie überhaupt sei, abhängig gemacht hat: eine Arbeit entlang der Grenzen, ein geduldiges Unternehmen, das unserer Ungeduld nach Freiheit eine Form gibt. Mit anderen Worten das wiederholte Aufgreifen der unzulänglich beantworteten Frage' Was ist Aufklärung?'— soweit Michel Foucault, 1969

    Nächstes Thema

    Referenzen: 
    Eco, Umberto: Die Suche nach der vollkommenen Sprache, München: Beck 1994
    Toulmin, Stephen: Kosmopolis. Die unerkannten Aufgaben der Moderne, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1991
    Gellner, Ernest: Descartes & Co. Von der Vernunft und ihren Feinden, Hamburg: Junius 1995
    Sommer, Manfred: Identität im Übergang: Kant, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1988
    Foucault, Michel: What is Enlightenment (1969) in: The Foucault Reader. Ed by Paul Rabinow, New York: Pantheon 1984
     
    Literatur Teil1 Zurück zum Inhalt Zurück zur Übersicht Zurück zur MainPage