Hartmann / Philosophische Grundlagen 1.4.

      Sprachphilosophie


      "Der Mensch lebt mit den Gegenständen hauptsächlich, ja, da Empfinden und Handeln in ihm von seinen Vorstellungen abhängen, sogar ausschließlich so, wie die Sprache sie ihm zuführt."
      (Wilhelm von Humboldt)

      herder.jpg (7469 Byte) Während Kants das Subjekt transzendental zu bestimmen versucht hat, d.h. über die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Denken und Handeln, wird die Sprache als neues (altes) Thema der Philosophie entdeckt: Sprache, als „Werkzeug des Denkens", ist eine „Erscheinung", die erkennbar und wissenschaftlich rekonstruierbar ist. 

      Welt und Mensch und Sprache wird vor allem bei Johann Gottfried Herder ineins gesetzt, womit philosophische Fragen durch eine anthropologische Fragestellung ergänzt bzw. abgelöst werden. 

      Sprache wird gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts zunehmend als das Regelsystem begriffen, das unsere Weltauffassung (und damit auch die Erfahrungen) schon vorgängig determiniert. Wie aber kommt der Mensch zur Sprache? Gehört sie zu den angeborenen Ideen? Wird sie erworben? Was ist ihr Wesen? Ist ihr Ursprung göttlich oder tierisch? 

      Einige Schlüsseltexte für den Zusammenhang von Denken und Sprechen beziehen sich auf Kants Kritik der reinen Vernunft: vor allem Johann Georg Hamann, ein Freund und Lehrer Herders, wendet sich gegen den philosophischen Dualismus von Sinnlichkeit und Intellekt, der sich in der Kantschen Vernunftkritik wiederholt: hier kontrastiert die apriorische Erkenntnisqualität (Spontaneität der Begriffe) mit der aposteriorischen (Rezeptivität der Sprache). Seine Schriften sind unsystematisch und wirr (manchmal heißt es: irrationalistisch), denn er polemisierte auch mit diesem Stilmittel gegen die rationale Abstraktion seiner Zeitgenossen. 
      1784 verfaßte Hamann als Reaktion auf Kants 'Kritik der reinen Vernunft' eine Metakritik über den Purismus der Vernunft (1800 posthum veröffentlicht), in welcher Hamann die dreifache Reinigung der Vernunft bei Kant kritisiert. Es ist dies die Reinigung: 

      • von Überlieferung, Tradition und Glauben
      • von der Erfahrung und ihrer "alltäglichen Induction"
      • von der Sprache, jenem "einzigen und letzten Organon und Kriterion der Vernunft."
      Denken und Sprechen werden gegen diese Abstraktionen in einen intimen Zusammenhang gestellt. "Vernunft ist Sprache", heißt es bei Hamann, und ebenso meinte Herder, daß durch die Sprache Vernunft ausgebildet wird, da wir "Sprachgeschöpfe" sind und die Sprache selbst als eine Art Instinkt (vgl. jetzt auch Pinker 1994) tierischen Ursprungs ist. Sprache und Schrift werden eine zentrale Stellung bei Herders Bestimmung von "Humanität" in den 1784 bis 1791 erschienen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit einnehmen.

      1758 verfaßt Hamann seine Biblische Betrachtungen, und die Texte jener Zeit bereiten ein 'kommunikations- anthropologisches' Verständnis von Sprache und Schrift vor. Die Bibel wird jetzt auch als ein geschichtliches Dokument gelesen, nicht nur als göttliche Offenbarung - ihre Sprache ist schon für Hamann historisch relativ, eine zeitgebundene Erzählung (hinter dieser Einsicht verbirgt sich auch schon eine gewisse Sprachskepsis). Es ist, so bekennt Hamann, eindeutig der "Menschengriffel der heiligen Männer", durch den der Geist Gottes spricht.

      Ob die Menschen, sich selbst und ihren natürlichen Fähigkeiten überlassen, Sprache hätten erfinden können, diese Preisfrage der Berliner Akademie der Wissenschaften von 1770 beantwortet Herder mit der Abhandlung über den Ursprung der Sprache.

      Ursprung.gif (7309 Byte) Herder widerlegt darin die These vom adamitischen (göttlichen) Sprachursprung, wenn er diesen Traktat mit der These eröffnet, daß der Mensch "schon als Thier" Sprache habe. Sprache ist ihm Werkzeug der Welterschließung, und ist nicht eine verbalsprachlich beschränkte . Allerdings ist es genau die Sprache, die den Menschen vom Tier qualitativ trennt, denn ohne Sprache gibt es keine Vernunft:

      "Alle Tiere bis auf den stummen Fisch tönen ihre Empfindungen; weswegen aber hat doch kein Tier, selbst nicht das vollkommenste, den geringsten, eigentlichen Anfang zu einer menschlichen Sprache. Man bilde und verfeinere und organisiere dies Geschrei wie man wolle: wenn kein Verstand dazukommt, diesen Ton mit Absicht zu brauchen, so sehe ich nicht, wie nach dem vorigen Naturgesetze je menschliche, willkürliche Sprache werde?" (Herders Text im Projekt Gutenberg)

      Beeinflußt von der Sprachphilosophie der französischen Enzyklopädisten (er trifft sich 1769 mit d'Alembert und mit Diderot), die die rekonstruktive Qualität der Sprache als einem deskriptiven Instrument vergegenwärtigten (Blumenberg 1981), widmete sich schon der junge Herder der "logosmystischen" Tradition von der Sprachlichkeit der Welt, der Geschichte und des Denkens.
      Vom englischen Empirismus her, der eine Therapie der Wissenschaften als Therapie der Sprache anbahnt, läßt sich bei Herder (der auch lange mit Goethe befreundet war) der Zug zur sprachlichen Therapie der Nation deuten - einer der vielen Versuche, Einheitlichkeit in der zersplitterten Moderne herzustellen (und Grundlage für die spätere völkische Vereinnahmung Herders). Herder nimmt in mancherlei Hinsicht jene Einsicht Wittgensteins vorweg, nach der die Grenzen meiner Sprache die Grenzen meiner Welt bedeuten. Herder spekuliert in seiner Preisschrift nicht, sondern argumentiert mit Tatssachen, die sich u.a. aus dem Bau der alten Sprachen erschließen lassen. Vernunft erscheint als relativ hinsichtlich ihrer Sprachgebundenheit (Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft, 1799).


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      Referenzen: 
      Borsche, Tilmann (Hg.): Klassiker der Sprachphilosophie, München: Beck 1996
      Blumenberg, Hans: Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt: Suhrkamp 1981
      Pinker, Stephen: The Language Instinct. The New Science of Language and Mind, New York: Penguin 1994
      Seebaß, Gottfried: Das Problem von Sprache und Denken, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1981
       
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